30 Jan Das ist es ja eben …
D a n k e Madeleine, dass du mit uns die nachfolgende Geschichte aus dem Buch «Christus in Hamburgs Strassen und Häusern» geteilt hast!
So erschüttert wie das folgende Erlebnis hat mich kaum jemals etwas. Es hat damals sehr ernst um mich gestanden, als ich am Tag vor Weihnachten mt einer schweren Bronche-Pneunomie (Lungenentzündung) in unserem Elim-Krankenhaus in Hamburg aufgenommen werden musste. Das Fieber war beängstigend gestiegen, und die Atemnot war so quälend, dass immer aufs neue der Sauerstoffapparat eingesetzt werden musste. Und doch – trotz allem war im Herzen tiefer Weihnachtsfriede und das Wissen um die Geborgenheit in Gottes Liebe. Sonst nahm ich nicht viel wahr von meiner Umgebung. Das sollte jedoch schlagartig anders werden, als man am zweiten Weihnachtstag eine Todkranke zu mir ins Zimmer legte.
Im Vergleich zu ihr ging es mir weit besser, jedenfalls meinte ich, die Krisis überstanden zu haben. Meine Sinne wurden wacher durch die qualvolle Atemnot meiner Nachbarin. Unruhig glitten ihre Hände über die Bettdecke; der rasselnde Atem machte mich hellhörig. Sollten etwa ihre Stunden gezählt sein? Fast hatte ich den Eindruck. Wie mochte es um das Heil ihrer Seele bestellt sein? Doch noch war sie ansprechbar. Das machte mich plötzlich hellwach und liess mich meine eigene Not und mein Elendsein vergessen. Innerlichst fing ich an, für die Kranke neben mir zu beten, dass der Herr sich ihrer erbarmen möge.
«Schwester, ob ich wohl sterben muss?» Keuchend, aber klar verständlich klang die schwerwiegende Frage zu mir herüber. Wunderbares Fügen meines Gottes, dass wir so ins Gespräch kamen!
«Das kann ich Ihnen natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen, liebe Frau Barth!» entgegnete ich. «Aber – dass es sehr ernst um Sie steht, nicht wahr, das merken Sie auch selber! Und wenn es nun wirklich so sein würde, sagen Sie, wären Sie bereit, vor Gottes Angesicht zu erscheinen? Ist alles in Ordnung zwischen Gott und Ihnen, dass Sie Ihm mit Freuden begegnen können?»
«Das ist es ja eben! – Nichts ist in Ordnung nichts!» stossweise kommt es von ihren heissen, fiebrigen Lippen. «Ich kann – ich will noch nicht sterben, jedenfalls jetzt noch nicht, wo ich doch alles gerade jetzt soweit gebracht hab, die Mineralwasserfabrik! Und was wird mit dem Geld, dem schönen Geld, das ich beiseite geschafft habe? Ich, ich habe ja noch nichts gehabt vom Leben als nur Arbeit und Schufterei! Ich kann, ich will noch nicht sterben! Und mein Mann! – Ach, Schwester – Wir müssten ja noch schnell heiraten, wir haben nur so zusammengelebt. Ach, Schwester, das ist es ja eben! Alles bekommt plötzlich ein anderes Gesicht. Schwester, helfen Sie mir doch!»
Die Nacht wird zum Tag. Fest hat sich ihre Hand um meine gekrampft. Mir selber steht der Schweiss auf der Stirn. Aber es geht doch um eine unsterbliche Seele! Wer weiss, ob sie die nächste Nacht noch erleben wird! Ich achte weder Schwäche noch Kraftlosigkeit, und wäre es mein letzter Dienst. Ich bring ihr Jesus! Und wenn dieser Dienst auch in grosser Schwachheit geschieht. Ich bring ihr Jesus in Seiner ganzen Liebe und Barmherzigkeit als den Heiland der Sünder. Dann beten wir zusammen, und ich befehle diese todkranke Frau Seinem Erbarmen an, dass ihr die Vergebung ihrer Sünden zuteil werden möge durch das, was auf Golgatha auch für sie geschehen ist.
«So, Schwester, und nun beten Sie doch auch noch für meine Katze, dass sie jemand findet, der sich um sie kümmert!»
Als ich zögere, hör ich es nochmals keuchend von ihren Lippen kommen:»Beten Sie doch für meine Katze!» Sie merkt nicht mein Entsetzen, Doch soll ich dieser Sterbenden die Bitte abschlagen? Ich kann’s nicht. Also, bete ich auch für ihre Katze.
Dann schwinden ihr die Sinne, und ich bin am Ende meiner Kräfte – äusserlich und innerlich bin ich zutiefst erschüttert über das, was die Sterbende in ihrer letzten Nacht in letzter Minute, nein, in den allerletzten Augenblicken ihres Lebens über ihre Lippen brachte, in Ordnung haben wollte. Und nichts war in Ordnung, das ist es ja eben, das Furchtbare! Man lebt, als wolle man hundert Jahre leben! Ans Sterben wird nicht gedacht – und nichts ist in Ordnung!
In den Morgenstunden des anbrechenden Tages war der Todeskampf ausgekämpft, während ihre fieberheissen Hände vorher, in einem lichten Augenblick, noch mühsam nach der Geldtasche mit den Tausendmarkscheinen griffen, die sie auch im Tod noch krampfhaft umklammert hielt. Selten hat mich ein Sterben so erschüttert wie dieses.
Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Matthäus 6,19-20
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