22 Jan Wenn Gott ins Spiel kommt Teil 1
D a n k e für deine Frage, lieber Richard!
Deine Gedankengänge stimmten auch mich sehr nachdenklich und traurig:»Was macht denn nun eine Mutter, liebe Gabriela, deren Kind von einer feige aus der Luft abgeworfenen Bombe zerfetzt wurde? Mir persönlich fehlt die Grösse, dem Bombenleger zu verzeihen!»
Heute ist mein Beitrag etwas länger, aber jedes einzelne Wort war mir sehr wichtig.
Denn einmal werden wir uns alle vor Christus als unserem Richter verantworten müssen. Dann wird jeder das bekommen, was er für sein Tun auf dieser Erde verdient hat, mag es gut oder schlecht gewesen sein. 2. Korinther 5,10
Das Hauptproblem des Leids auf dieser Welt ist, dass die Menschen sich selbst anstelle Gottes in den Mittelpunkt stellen und sich zum König ihres eigenen Lebens machen. Dieser Egotrip ist die Wurzel allen Übels und der Grund für so viele bösartigen Taten, die jeden Tag geschehen. Die Menschen entscheiden sich nämlich ganz bewusst dafür, anderen Leid zuzufügen. Sei es aus Gier, Geltungssucht oder anderen niederen Motiven.
Hatte Gott denn nicht eine andere, heile Welt im Sinn? Dem Schöpfungsbericht der Bibel zufolge können wir entnehmen, dass Gott die Menschen „sehr gut“ geschaffen hat. Er hat sie geschaffen nach seinem Bilde, ausgestattet mit Sinn, Verstand und Gewissen. Die ersten Menschen, also die Menschheit als Gattung, war zu Beginn in vollkommener Einheit mit Gott. Das heisst, die Menschen waren so im Einklang mit ihrem Schöpfer, dass sie nichts anderes wollten als Gottes Willen in jedem Detail zu erfüllen. Das Schöne war auch, dass es es weder Krankheit, Tod noch Leid gab. Ihr Geist beherrschte die Materie.
Dann zerbrach diese vollkommene Einheit von Schöpfer und Geschöpf. In einem Akt des Ungehorsams entschieden sich die Menschen für die Unabhängigkeit von Gott. Ihr Sinn und Verstand, ihr Geist und Gewissen, gewann die Eigenständigkeit und verlor schliesslich die Übereinstimmung, die vollkommene Einheit, mit dem Schöpfer. Zugleich gaben sie damit dem Teufel, dem Bösen in Person, Raum in ihrem Leben.
Das führt zurück zur Frage, ob Gott denn die Welt nicht anders hätte schaffen können. Laut Bibel wollte er das nicht, denn der Gott, der selbst Liebe ist, wollte ein echtes Gegenüber: eines, das aus freien Stücken Seine Liebe erwidert – oder eben nicht. Gott hat aber nicht nur die Abkehr der Menschen vorausgesehen, sondern hielt auch schon die Lösung für das Problem bereit: Er selbst stellte die Einheit zwischen sich und seiner Schöpfung wieder her. Jesus Christus kam auf diese Welt und ging in die Materie ein. So brachte er Heilung und Versöhnung in die natürliche Welt und streckt den Menschen auch heute noch seine rettende Hand entgegen. Was nach christlichem Verständnis nichts daran ändert, dass jeder Mensch diese Hand annehmen oder ausschlagen kann.
Wenn Gott die Welt in Christus mit sich versöhnt hat – wieso trifft Christen dann genauso körperliches und seelisches Leid wie alle anderen? Warum sind sie weder davor sicher, anderen Leid zuzufügen wie selbst Opfer davon zu werden? Diese Frage stellen sich Menschen immer wieder angesichts von ganz persönlichem Leid oder auch grossen Katastrophen. Jesus selbst rückt zwei Dinge zurecht. Als ein Turm einstürzt und 18 Menschen erschlägt, betont er, dass das Unglück keine direkte Folge besonderer Schuld und Sündhaftigkeit dieser Menschen ist. Zugleich macht Jesus aber auch deutlich, das niemand durch besonderen Glauben oder Frömmigkeit vor äußerem Unglück geschützt ist. Nüchtern gesagt: Kein Geschöpf und kein noch so gerechter Mensch hat vor seinem Schöpfer einen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Mass an Glück und Wohlergehen. Auch die Folgen konkreter Taten müssen wir selbst ausbaden: Wer lügt, betrügt oder stiehlt, muss mit den Konsequenzen leben. Auch die Frömmsten unter den ersten Christen sind nicht frei von Leid – im Gegenteil. Paulus litt unter einem körperlichem Gebrechen, erlitt Schiffbruch und musste ins Gefängnis. Viele der ersten Zeugen starben gewaltsam, viele litten Armut und prekäre Lebensbedingungen. Und doch sind ihre Worte und Taten Zeugnisse für einen fröhlichen, mutigen Glauben, der sich vom Leid nicht unterkriegen lässt. Wie ist das möglich?
Auch wenn die Frage nach dem „Warum“ nie ganz beantwortet werden kann, legt die Bibel einige Spuren zu einer neuen Perspektive auf Leid und Leiden.
Jesus selbst, nach der Bibel der Sohn Gottes, in perfekter Einheit mit dem Vater, leidet in seinem Leben immer wieder, bis hin zu Folter, Geisselung und dem Tod am Kreuz. Ganz am Schluss, mit seinen letzten Atemzügen, stellt er seinem Vater im Himmel eine Frage:„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus erlitt das Schlimmste, was Menschen widerfahren kann: Das Gefühl völliger Gottverlassenheit. Jesus selbst stellt die Frage nach dem Warum. Und deutet zugleich eine Antwort an. Noch eher als „warum?“ heißt das aramäische Wort „le‘ma?“ eigentlich „wozu?“ Das weist in eine neue Richtung: Gott, wozu – zu welchem Ziel und Zweck – lässt du das geschehen? Auch wenn das Leid in diesem Moment sinnlos scheint – was kann in Zukunft daraus werden?
In erzählerischer Form findet sich dieser Wandel der Sichtweise auf das Leid im Buch Hiob. Die Hauptperson, ein rechtschaffener, gläubiger und gerechter Mann, erfährt unerklärliches Leid: Er verliert seine Familie, seinen Besitz und seinen guten Ruf – also alles, was er hat. Er selbst hadert und ringt mit Gott (ohne mit ihm zu brechen) und diskutiert mit seinen Freunden. Einen Sinn kann er in seinem Leid nicht sehen und stellt sich die gleiche Frage wie viele Menschen vor und nach ihm: Wieso trifft es gerade mich so hart?
Es dämmert Hiob nicht über Nacht, sondern mit der Zeit – dafür aber klar und deutlich: Durch das Leid all seiner irdischen, menschlichen Sicherheiten beraubt und ganz auf Gott angewiesen, macht er eine tiefgreifende geistliche Erfahrung. Er lernt seinen Schöpfer auf ganz neue Weise kennen – besser und tiefer, als ihm das vorher je möglich war. Seine neue Hingabe an Gott gipfelt in dem Satz:
Herr, ich kannte dich nur vom Hörensagen, jetzt aber habe ich dich mit eigenen Augen gesehen! Hiob 42,5
Bei Jesus selbst ist es so, dass Kreuz und Leiden ein zwar notwendiger, aber vorübergehender Schritt zu einem neuen, unvergänglichen Leben sind. „Gott, für den alles geschaffen wurde und durch den alles ist, wollte nämlich viele Menschen als seine Kinder annehmen und sie in sein herrliches Reich führen. Jesus sollte ihnen den Weg dorthin bahnen. Doch dazu war es notwendig, dass er selbst durch das Leiden am Kreuz zur Vollendung gelangte. So entsprach es dem Willen Gottes.“
In der Nachfolge Jesu verstanden deshalb auch die ersten Christen ihr Leiden als Zwischenstadium zu einer grösseren Herrlichkeit, zu einer vertieften Nähe zu Gott. Paulus schrieb:
Ich bin ganz sicher, dass alles, was wir in dieser Welt erleiden, nichts ist verglichen mit der Herrlichkeit, die Gott uns einmal schenken wird. Römer 8,18
Das Leiden wird im Neuen Testament also nicht nur als notwendiges Übel beschrieben, das in Zukunft vergessen sein wird. Es erfüllt auch eine bestimmte Funktion. Das knüpft daran an, das Menschen von Natur aus nicht im Einklang mit Gott leben. Wie bei Hiob kann Leiden Menschen dazu bringen, sich neu mit Gott auseinanderzusetzen und seine Nähe zu suchen. Das ist kein Automatismus, denn Leid kann Menschen auch bitter werden lassen. Wichtig ist es, sein Leid nicht für sich zu behalten, sondern es Gott zu sagen und zu klagen und mit ihm darüber im Gespräch zu bleiben. König David ist mir da ein grosses Vorbild. Die Psalmen sind voll von Freud und Leid sowie spannenden Zwiegesprächen mit Gott.
Zugleich bewahrheitet sich das Sprichwort immer wieder, dass Not beten lehrt. Wer glücklich durchs Leben segelt und seine Zufriedenheit ganz in „irdischen Gütern“ findet, wird kaum nach Gott fragen. Wer durch Unglück und ungünstige Umstände leidet, wird eher nach Gott fragen. Und so die Worte besser verstehen können, die Gott zu Paulus sprach:
Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft. 2. Korinther 12,9
Oft bringt erst Leid Menschen dazu, ihr Glück in Gott zu suchen und zu finden. Es gibt ein höheres Gut, als nicht zu leiden: Die Gemeinschaft und Einheit mit ihm selbst. Und der Weg dorthin führt oft nur über das Leid, das unser rebellisches und störrisches Ego zur Demut und zu Gott bringt.
In den Worten des Schriftsteller C.S. Lewis („Über den Schmerz“): „Gott flüstert in unseren Freuden, er spricht in unserem Gewissen; in unseren Schmerzen aber ruft er laut. Sie sind Sein Megaphon, eine taube Welt aufzuwecken.“
Klar ist: Eine solche neue Sichtweise auf das Leid lässt sich weder erzwingen noch durch Argumente oder eine Einsicht des Verstandes begreifen. Sie lässt sich allenfalls erbeten oder auch rückblickend dankbar feststellen. In einer konkreten Notsituation ist es tröstlich zu wissen, dass Gott selbst kein Leid fremd ist und er in Jesus Christus alle Tiefen des Lebens durchschritten hat.
Fortsetzung folgt morgen …
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